Die Wissenschaft sagt JA!

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Ein Bericht von orf science:

Warum wir runde Räume schöner finden

In Räumen mit runden Formen und geschwungenen Möbeln fühlen wir uns wohler als in eckigen und kantigen. Das zeigt eine neue Gehirnstudie Wiener Forscher. Die Architektur sollte darauf Rücksicht nehmen, finden sie. Denn schließlich verbringen wir den allermeisten Teil unserer Zeit in Innenräumen.

ÄSTHETIK11.06.2013

Um herauszufinden, wie Menschen Formen in der Architektur beurteilen, hat ein Team um den Psychologen Helmut Leder von der Universität Wien Teilnehmern einer Studie 200 Bilder von Innenräumen vorgelegt und dabei ihre Gehirnaktivität gemessen.

Die Studie:

„Impact of contour on aesthetic judgments and approach-avoidance decisions in architecture“von Oshin Vartanian und Kollegen ist am 10.6. in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) erschienen.

Link:

Ö1 Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag inWissen aktuell: 10.6., 13:55 Uhr.

Weich und angenehm vs. hart und ernst

Warum finden wir überhaupt manche Formen schöner als andere? Diese Frage hat schon die frühen, empirisch arbeitenden Psychologen vor über 100 Jahren umgetrieben. In verschiedenen Versuchsreihen haben sie schon damals festgestellt, dass Menschen bei ganz grundsätzlichen Dingen wie z.B. Linien geschwungene Formen bevorzugen: Sie werden als weicher und angenehmer empfunden als eckige, die als härter und ernster wahrgenommen werden.

Eine Erklärung für diese Vorlieben liefert die Evolutionstheorie. Formen, die sich im Laufe der Menschheitsgeschichte als vorteilhaft erwiesen haben, liegen demzufolge den Schönheitsvorstellungen bis heute zugrunde. Umgekehrt können Formen auch Warnsignale aussenden – etwa spitze Formen, die an Dornen erinnern, vor denen sich unsere Vorfahren einst in Acht nehmen mussten.

Obwohl die menschlichen Kulturen zweifellos alle möglichen Formen und Inhalte hervorgebracht haben, die als schön galten, glauben Evolutionspsychologen daher an ein tiefes biologisches Vermächtnis, das Schönheit bis heute grundlegend definiert. Und das man auch neurobiologisch nachweisen kann.

Ästhetik-Netzwerke im Gehirn

Deshalb haben die Forscher die 18 Teilnehmer (zwölf Frauen, sechs Männer) ihrer aktuellen Studie auch nicht nur befragt, ob sie bestimmte Innenräume als schön oder nicht schön empfinden, sondern auch in einen Magnetresonanztomografen gesteckt, der ihre Gehirnaktivität maß. Die subjektive Einschätzung der Probanden („finde ich schön“) deckte sich dabei mit den objektiven Ergebnissen („entsprechende Gehirnregionen sind aktiv“).

Warum diese Objektivierung überhaupt nötig ist? Weil man dadurch die verschiedenen Komponenten auseinanderhalten kann, durch die ein Schönheitsurteil zustande kommt, sagt Helmut Leder.

Beispiele runder und eckiger Räume, die die Studienteilnehmer beurteilten

„Wir konnten zeigen, welche Gehirnregionen beteiligt sind. Und weil es die gleichen sind, die auch beim Betrachten anderer schöner Objekte aktiviert sind, lässt das den Schluss zu, dass es sich um ein allgemeines biologisches System handelt. Das hätten wir mit einer reinen Befragung nicht zeigen können.“

Wie die Forscher herausgefunden haben, sind beim Betrachten der Bilder von Innenräumen die gleichen „Ästhetik-Netzwerke“ im Gehirn aktiv wie bei Kunstwerken. In erster Linie sind das Hirnregionen, die mit Belohnung und Gefühlen zu tun haben (wie z.B. der Orbitofrontal-Kortex und dieBasalganglien).

Haupterklärung: Wohlempfinden

Das wichtigste Gefühl, das den Eindruck von Schönheit begleitet, ist ein Wohlempfinden. Es erklärt mehr als die Hälfte des Schönheitsurteils, sagt Leder. „Was wir schön finden, das finden wir auch wohlgefällig. Schönheit und Wohlempfinden sind aber nicht genau dasselbe. Im Gehirn sehen wir, dass ein Schönheitsurteil eine Art von Bewertung ist, die neben den emotionalen auch kognitive Komponenten – also Verstehens- und Denkprozesse – beinhaltet, und das Wohlfühlen ist eigentlich die emotionale Folge von dem.“

Die Forscher haben aber nicht nur untersucht, ob die Studienteilnehmer runde oder eckige Räume mögen. Sie haben auch ihre Reaktion auf die Frage analysiert, ob sie diese Räume auch gerne betreten würden. Und dabei haben sie festgestellt, dass das eine nicht mit dem anderen zusammenhängt.

„Für uns überraschend war, dass wir bei eckigen Räumen keinen Hinweis gefunden haben, dass die Amygdala im Gehirn aktiviert war – das ist jener Teil, der uns warnt, wenn etwas gefährlich ist, etwa wenn wir spitze Gegenstände sehen wie Messer oder Dornen“, erklärt Leder.

Barock geht vor Gotik

Im Gegensatz zu anderen Objekten lösen eckige Formen in der Architektur also offenbar keine negativen Reaktionen aus, runde Formen aber sehr wohl positive. Woher dieser Unterschied kommt? Das hat mit der Alltagspraxis zu tun, vermutet Helmut Leder. „Wir können uns schlicht oft nicht aussuchen, ob wir einen Raum betreten wollen oder nicht, auch wenn er uns nicht gefällt.“

Letzte Frage an den Psychologen: Wenn die Vorliebe für runde Gestalten in der Architektur vorherrscht – müssten wir dann nicht barocke Kuppeln lieber haben als gotische Türme?

„Das hängt davon ab, wie eckig die gotischen Türme wirklich sind. Aber laut unseren Studienergebnissen müsste man das so vorhersagen, ja. Wir wissen von Studien über die Stilvorlieben in der Architektur, dass auch Bildung, Interesse an Kunst etc. eine Rolle spielen. Aber in der Tat: Die runden Formen scheinen die zu sein, denen die Menschen höheren Gefallen entgegenbringen.“

Lukas Wieselberg, science.ORF.at