Dr. Jan Kruse hat mich während meiner Dissertation begleitet. Nach vier Seminaren in Innsbruck, Wien und Berlin war ich in die „krusische Welt“ mit völliger Begeisterung für Sozialforschung eingetaucht. Selbst nach all den Jahren spreche ich heute noch fast wöchentlich von Indexikalitäten, Syntax, Semiotik und Semantik.

Die Nachricht seines Todes hat mich schwer getroffen. Er war mein MUT-Mensch. Immer wenn es mir an Mut mangelt, dachte und denke ich an Jan Kurse.

Meine tiefe Anteilnahme gilt seiner Familie.

Seinen letzten Wunsch mehr für die Organspende und -transplantation zu tun möchte ich hiermit teilen.

„Organspende und -transplantation in Deutschland: Ein Aufruf zur Wiederbelebung von Diskurs und Praxis

 

Im November 2013 erkrankte ich plötzlich und unvermutet an einer schweren Herzmuskelschwäche (CMP – Kardiomyopathie), die unklarer Herkunft blieb. Ein Jahr lang durchlebte ich den erschreckenden Abbau meiner Vitalität – obwohl ich erst 40 war – und war zur „Entdeckung der Langsamkeit“ gezwungen. Im Herbst 2014 verschlechterte sich mein Zustand dramatisch, ich musste vollständig ins Krankenhaus übersiedeln. Mit dem heutigen Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe, dem 3. März 2015, liege ich nun seit 119 Tagen auf der sog. High-Urgency-Liste (HU-Liste) zur Herztransplantation. Ursprünglich sollte die HU-Liste als Einrichtung der Transplantationsmedizin gewährleisten, dass Menschen, die in lebensbedrohlicher Lage dringend ein Spenderorgan benötigen, dieses auch innerhalb von wenigen Tagen (maximal Wochen) erhalten. Inzwischen beträgt die durchschnittliche Wartezeit auf der HU-Liste (für Herztransplantation) 150 Tage. Auch 200 Tage sind keine Seltenheit. In diesem Zeitraum werden die Menschen durch Schläuche und dopingartige Medikamente irgendwie am Leben erhalten – in der Hoffnung, das Spiel gegen die Zeit zu gewinnen und das unbeschreibliche Geschenk eines zweiten Lebens zu erhalten. Das aber schaffen mehrere tausend Menschen jährlich nicht mehr. Zur großen Frustration der Ärzte ist die HU-Liste vom medizinischen Notfall zum sozialdarwinistischen Normalfall geworden, weil einer immer größeren Anzahl an Patienten eine immer geringere Zahl an Organspenden gegenüber steht. Dies wirft schwerwiegende ethische Fragen auf: Nach welchen Kriterien werden Organe vergeben? Wer entscheidet über Vergabe und Empfang? Wer soll ein Spenderorgan bekommen? Diese prekäre Situation ist vor allem dadurch bedingt, dass es immer weniger Organspender/innen gibt. Laut Eurotransplant (eine Stiftung, die als Vermittlungsstelle für Organspenden in den Benelux-Ländern, Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn agiert) – ist die Organspendebereitschaft in Deutschland inzwischen so niedrig wie in keinem anderen EurotransplantLand. Damit stehen auch immer weniger Organe zur Verfügung, die Zahl der Transplantationen sinkt. Der Rückgang der Organspendebereitschaft geht sicherlich auf eine Vertrauenskrise in die Transplantationsmedizin in Deutschland zurück, an der die Medien nicht unschuldig sind: Die Medien sind an diesem zerstörten Vertrauen nicht unschuldig: Die Berichterstattung über Skandale und Missbräuche war vielmals nicht objektiv und hat mit ihrer reißerischen Mode oft die Verhältnismä- ßigkeit aus den Augen verloren. Sie hat damit vermutlich viel mehr Schaden angerichtet als die Missbräuche selbst, auch wenn dies nicht als Argument missverstanden werden darf, Verfehlungen nicht aufzudecken und strafrechtlich zu verfolgen. Aus diesem Grund liegt es nun auch mit in der Verantwortung der medialen Öffentlichkeit, den objektiveren Diskurs über die Organspende bzw. Transplantationsmedizin wiederzubeleben, um so dran mitzuwirken, das Vertrauen in die Transplantationsmedizin zurückzugewinnen. Nur so kann das Ziel erreicht werden, über bloße Lippenbekenntnisse hinaus eine tatsächliche zunehmende Spendenbereitschaft zu verzeichnen. Sie alle können aber auch persönlich dazu beitragen, die katastrophale Situation in Deutschland zu ändern. Überwinden Sie Hemmnisse und Tabus in diesem schwierigen Feld; diskutieren Sie mit Partnern, Freunden und Bekannten über das Thema Organspende, und überlegen Sie, ob Sie sich nicht doch einen Organspendeausweis – den man heutzutage äußerst differenziert gestalten kann! – anschaffen, um ihn auch bei sich zu tragen. Sie könnten damit Menschen helfen, jene unbeschreibliche Gabe eines zweiten Lebens zu empfangen. Ich bitte Sie deshalb auch, diese Mail an Freunde und Bekannte weiterzuleiten, mit der Bitte, dass diese die Mail wiederum weiterleiten. Mit einer solchen Ketten-Mail verhält es sich dann vielleicht wie mit dem afrikanischen Sprichwort: „Wenn viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, viele kleine Schritte machen – dann wird sich die Welt bewegen.“ Eine solche Bewegung ist mir ein inneres Bedürfnis – gerade vor dem Hintergrund, dass in mein Leben gegenwärtig der totale Stillstand getreten ist. Ich freue mich darüber, wenn Sie mich darin unterstützen!

Mit (noch) herzlichen Grüßen, Jan Kruse“

Jan Kruse ist im Mai 2015 verstorben.

Nachruf Universität Freiburg